Behinderung:
Gemäß § 2 I SGB IX gilt:
Menschen mit Behinderungen sind Menschen, die körperliche, seelische, geistige oder Sinnesbeeinträchtigungen haben, die sie in Wechselwirkung mit einstellungs- und umweltbedingten Barrieren an der gleichberechtigten Teilhabe an der Gesellschaft mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate hindern können.
UND
hierdurch die Teilhabe am täglichen Leben eingeschränkt ist!
Wer ist schwerbehindert im Sinne von SGB IX?
Schwerbehinderung liegt vor, wenn der Grad der Behinderung (GdB) mindestens 50 beträgt;
der Wohnsitz, od. der gewöhnlichen Aufenthalt oder die Beschäftigung auf einem Arbeitsplatz in Deutschland sind;
Ab GdB 30 ist eine Gleichstellung möglich.
Wo beantrage ich den GdB?
Beim zuständigen Versorgungsamt
Antragsvordrucke bei:
Versorgungsämtern oder Landratsämtern
Sozialämtern
Kommunale Bürgerbüros
Behindertenverbände
Schwerbehindertenvertretungen
Sozialfachdienste in Kliniken
Internet
Wie beantrage ich?
- Formular vollständig ausfüllen (immer Kopie für die eigene Akte machen!)
- Alle Diagnosen angeben die berücksichtigt werden sollen
- Aber nicht nur die Angaben zur Diagnose, sondern auch:
- zu welchen tatsächlichen Beeinträchtigungen die Erkrankung im alltäglichen Leben führt.
- Alle Ärzte angeben die gehört werden sollen!
- So ausführlich wie möglich (Beschreibung der Beeinträchtigung auch auf einem Beiblatt ausformulieren)!
Welcher GdB ist zu erwarten?
Keine Pauschalisierung möglich! Der GdB richtet sich:
nach dem Grad der Beschwerden
z.B. nach der Beeinträchtigung des Kräfte- und Ernährungszustandes
z.B. den Folge- und Begleiterkrankungen, extraintestinale Manifestationen, sind zusätzlich zu bewerten
Versorgungsmedizinische Grundsätze:
Der GdB wird für die jeweilige Erkrankung durch die sog. “Anlage zu § 2 der Versorgungsmedizin-Verordnung” den Versorgungsmedizinischen Grundsätzen nach allgemeine Beurteilungsregeln und Einzelangaben festgelegt.
Festlegung erfolgt durch Gesamtbewertung aller festgestellten Beeinträchtigungen.
Werte der einzelnen Behinderungen können nicht zusammengerechnet werden!
Bei Festlegung des GdB ist der Gutachter weitgehend frei.Hier finden Sie die VERSORGUNGSMEDIZINISCHEN GRUNDSÄTZE
Widerspruch und Klage:
Entspricht der von Ihnen beantragte GdB nicht demjenigen, der Ihnen nach den o.g. Grundsätzen zustehen kann, besteht die Möglichkeit Widerspruch und ggf. Klage gegen den zugrunde liegenden Bescheid zu erheben.
Widerspruch innerhalb eines Monats nach ergehen des Bescheides (auf Frist achten!!)
Schriftlich beim Versorgungsamt
Gleichzeitig Akteneinsicht anfordern
Widerspruchsbegründung immer erst nach Akteneinsicht!!
Wird Ihrem Widerspruch nicht abgeholfen und es ergeht ein sog. Widerspruchsbescheid, ist innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe Klage vor dem zuständigen Sozialgericht zu erheben.
Gleichstellung:
Wann bekomme ich eine Gleichstellung?
Weniger als GdB 50 jedoch mindestens GdB 30
Wo steht es? -> § 2 Abs. 3 SGB IX in Verbindung mit § 151 Abs. 2 und 3 SGB IX
Der Antrag wir beim zuständigen Arbeitsamt gestellt!
Arbeitgeber erfährt von der Gleichstellung!
Voraussetzungen:
– Ohne kann kein Arbeitsplatz erlangt werden
oder
– Der Arbeitsplatz ist akut wegen der Erkrankung gefährdet.
Fiktive Gefährdung reicht nicht aus!
Anhaltspunkte einer Gefährdung:
Häufige behinderungsbedingte Fehlzeiten
Behinderungsbedingt verminderte Arbeitsleistung
Dauernd verminderte Belastbarkeit
Auf Dauer notwendige Hilfe anderer Mitarbeiter
Eingeschränkte berufliche und /oder regionale Mobilität auf Grund der Behinderung
Gleichstellung Jugendlicher:
Jugendliche und junge Erwachsene haben Sonderstellung.
Gleichstellung kann auch bei Behinderung mit weniger als GdB 30 oder wenn ein GdB überhaupt nicht festgestellt wurde (!) gewährt werden Lt. Gesetz zur Förderung der Ausbildung und Beschäftigung Schwerbehinderter, wird diese Gruppe während der Ausbildung gleichgestellt (§151 Abs.4 SGB IX).
ACHTUNG:
In diesem Fall der Gleichstellung besteht nur die Möglichkeit des AG auf Zuschüsse zu den Kosten der Ausbildung; KEIN besonderer Kündigungsschutz!; Nachweis der Behinderung erfolgt durch formlose Stellungnahme der Agentur für Arbeit!
Nachteilsausgleich
Es gibt verschiedene Nachteilsausgleiche für Schwerbehinderte:
Steuererleichterungen
Kündigungsschutz SGB IX
Keine Mehrarbeit
Zusatzurlaub
Parkerleichterungen, ab einen GdB von 60 bei Betroffenen mit chronisch entzündlichen Darmerkrankungen, bundesweit
Ermäßigungen bei Veranstaltungen
Ermäßigung beim ADAC, Mobilfunk, Autokauf (abhängig von der Firma)
Pauschalbeträge Steuererleichterung
GdB 50 Behinderung -> 570 €
GdB 60 Behinderung -> 720 €
GdB 70 Behinderung -> 890 €
GdB 80 Behinderung -> 1.060 €
GdB 90 Behinderung -> 1.230 €
GdB100 Behinderung -> 1.420 €
Soll Arbeitgeber nicht von der Behinderung erfahren, nicht in der Steuerkarte eintragen lassen, sondern im Lohnsteuerjahresausgleich geltend machen!
Einstellung von Schwerbehinderten:
Frage des Arbeitgebers nach der Schwerbehinderung bei Bewerbungen bisher in der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichtes zulässig.
Gleichbehandlungsgesetz (AGG) Frage nach überwiegender Meinung unzulässig und darf, wenn sie trotzdem gestellt wird, folgenlos auch dann verneint werden, wenn formell die Schwerbehinderteneigenschaft festgestellt ist.
Wie muss ich in einem Bewerbungsgespräch antworten?
Wahrheitsgemäß antworten:
Wenn die Schwerbehinderung die arbeitsvertraglich geschuldete Leistung beeinflusst.
Schummeln dürfen sie:
Wenn die Schwerbihnderung keinen Einfluss auf die Arbeitsleistung hat.
ACHTUNG:
Das Bundesarbeitsgericht hat am 16.02.2012 (Az.: 6 AZR 553/10) entschieden:
“Im bestehenden Arbeitsverhältnis ist jedenfalls nach sechs Monaten, also nach dem Erwerb des Sonderkündigungsschutzes für behinderte Menschen, die Frage des Arbeitgebers nach der Schwerbehinderung zulässig. Das gilt insbesondere zur Vorbereitung von beabsichtigten Kündigungen.”
Das Bundesarbeitsgericht führt hierzu aus:
“Die Frage nach der Schwerbehinderung im Vorfeld einer vom Arbeitgeber beabsichtigten Kündigung steht im Zusammenhang mit der Pflichtenbindung des Arbeitgebers durch die Anforderungen des § 1 Abs. 3 KSchG, der die Berücksichtigung der Schwerbehinderung bei der Sozialauswahl verlangt, sowie durch den Sonderkündigungsschutz nach § 85 SGB IX [neu § 168 SGB IX], wonach eine Kündigung der vorherigen Zustimmung des Integrationsamtes bedarf. Sie soll es dem Arbeitgeber ermöglichen, sich rechtstreu zu verhalten.”
Lesen im Weiteren die PRESSEMITTEILUNG DES BAG
Somit bestehen Risiken:
– im o.g. Urteil konnte sich der Arbeitnehmer im Kündigungsschutzprozess NICHT auf die Schwerbehinderung beziehen
BAG hat am 18.09.2014 (Az.: 8 AZR 759/13) entschieden:
“Ein schwerbehinderter Mensch, der bei seiner Bewerbung um eine Stelle den besonderen Schutz und die Förderung nach dem SGB IX in Anspruch nehmen will, muss die Eigenschaft, schwerbehindert zu sein, grundsätzlich im Bewerbungsschreiben mitteilen. Eine solche Mitteilung muss bei jeder Bewerbung erfolgen. Auf Erklärungen bei früheren Bewerbungen kommt es nicht an.“
Kündigungsschutz, Mehrarbeit, Zusatzurlaub:
Kündigungsschutz:
Für wen? -> Ab GdB 50 und für Gleichgestellte
Wo steht es? -> §§ 168–175 SGB IX
Gilt nicht:
Wenn Beschäftigungsverhältnis bei Kündigung noch keine 6 Monate besteht
Vom Arbeitnehmer beendet wird
Durch einvernehmlichen Aufhebungsvertrag beendet wird
Durch Zeitablauf bei Zeitvertrag
Wegen schlechter Witterung beendet wird, mit der Kündigung aber eine Widereinstellung gegeben wird
Mehrarbeit (§ 207 SGB IX):
Schwerbehinderte müssen auf Antrag von Mehrarbeit befreit werden; aber:
Mehrarbeit nicht = Überstunden
Mehrarbeit erst dann wenn die gesetzliche Arbeitszeit (48 Std.) überschritten wird bzw. 8 Std. täglich überschritten werden
Dies gilt auch für Teilzeitbeschäftigte
Zusatzurlaub:
Wo steht es? -> § 208 SGB IX
Wer bekommt ihn? -> Schwerbehinderte ab GdB 50
Wo und wie beantrage ich? -> Beim AG mit Schwerbehindertenausweis
Wie viel Urlaub bekomme ich? -> Richtet sich nach den Arbeitstagen
Beispiel:
4 Tage bei einer 4 Tagewoche
5 Tage bei einer 5 Tagewoche usw.
Bei den vorstehenden Informationen handelt es sich nur um einen Überblick und kann eine individuelle Rechtsberatung nicht ersetzten. Bei der Antragstellung auf Feststellung der Schwerbehinderteneigenschaft oder Problemen rund um die Antragstellung sowie bei Widerspruch und Klage steht Ihnen meine Kanzlei gern zur Verfügung.